Mythen zu unerfülltem Kinderwunsch und Fruchtbarkeit

Zum Thema unerfüllter Kinderwunsch und Kinderwunsch generell gibt es viele unterschiedliche Vorstellungen. Das erschwert zum einen die Situation für betroffene Paare bzw. Personen, zum anderen beeinflussen diese generell die Familiengründung, beispielsweise wenn man eine unterschiedliche Vorstellung der eigenen Fruchtbarkeit hat. In dem folgenden Artikel werden einige dieser Mythen aufgegriffen und aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet. Alle Mythen inklusive Erklärungen stammen aus dem Dokument von Wischmann (2016), das Sie hier vollständig herunterladen können. Dort finden Sie noch weitere Mythen, die leicht verständlich erklärt bzw. richtig gestellt werden. Die zusätzlichen Infos wurden jeweils unter „Nice-To-Know“ ergänzt.


Mythos: „Unerfüllter Kinderwunsch ist doch nichts Schlimmes: Diese Paare sind ja nicht ernsthaft krank!“

 

Erklärung: Es ist aber trotzdem oft nur sehr schwer auszuhalten. Und wenn dann noch eine langwierige Kinderwunschtherapie hinzukommt, dann bringt das Paare gefühlsmäßig, oft auch finanziell und die Frau sehr häufig auch körperlich an ihre Grenzen.

 

Nice-to-know: Die Paare unternehmen durchschnittlich 1,9 Versuche, um mit Hilfe der Reproduktionsmedizin ein Kind zu bekommen (D.I.R. 2021, 16). Vor allem bei der Frau kann es zu enormen körperlichen Belastungen kommen, da für einen Großteil der Behandlungsmethoden (wie z.B. IVF oder ICSI, sogenannte Künstliche Befruchtung) eine starke Hormontherapie notwendig ist. Durch die Hormontherapie sollen mehrere Eizellen heranreifen, die dann nach 14 Tagen im Rahmen eines operativen Eingriffs entnommen und befruchtet werden (Schweizer-Arau 2015, 56).


Mythos: „Aber die moderne Medizin kann doch jedem zum eigenen Kind verhelfen, oder?“

 

Erklärung: Leider nein. Die Medizin schreitet zwar immer weiter voran, aber nach drei Versuchen „künstlicher Befruchtung“ bleibt im Durchschnitt die Hälfte der Paare ohne lebendgeborenes Kind. In Zahlen: 50%. Nach vier Versuchen verbleiben durchschnittlich 40% der Paare ohne Kind. Diese Zahlen sprechen dafür, frühzeitig einen Plan B zu entwickeln – auch wenn Sie ihn später dann doch nicht brauchen.


Mythos: „Wieso Sorgen? Mit Zwillingen oder Drillingen wäre unsere Familienplanung doch in einem Rutsch abgeschlossen.“

 

Erklärung: Leider stellen Mehrlinge in vielen Fällen eine psychische Überforderung der Eltern dar, und nicht wenige Familien mit Mehrlingen brechen auseinander. Auch die medizinischen Risiken sollten Sie nicht unterschätzen: Die Gebärmutter der Frau ist für eine Einlingsschwangerschaft ausgelegt.

 

Nice-to-know: Bei einer Befruchtung mit reproduktionsmedizinischer Assistenz ist die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsschwangerschaft, je nach Anzahl der transferierten Embryonen, höher als bei einer spontanen Schwangerschaft. Das liegt daran, dass bis zu 3 Embryonen transferiert werden können, um vermeintlich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft zu erhöhen. Erste Ergebnisse zeigen jedoch, dass die Transferierung von mehr Embryonen die Schwangerschaftsrate nicht erhöht. 11 Kinderwunschzentren, die durchschnittlich weniger als 1,4 Embryonen transferieren, weisen eine Schwangerschaftsrate zwischen 31,0% und 31,9% auf. „8 Zentren, welche durchschnittlich 2 oder mehr Embryonen übertragen […] weisen eine Schwangerschaftsrate von „nur“ 28,2% auf. Die Rate an Mehrlingsschwangerschaften hingegen liegt bei 11 Zentren […] mit Transfer von weniger als 1,4 Embryonen zwischen 4,8% und 10,6%, bei 8 Zentren, welche durchschnittlich 2 oder mehr Embryonen übertragen, mehr als doppelt so hoch bei 20,6%.“ (D.I.R. 2021, 14).

 

Problematisch bei Mehrlingsschwangerschaften sind die erhöhten Risiken sowohl für Kinder als auch für die Mütter. Bei Zwillingen liegt beispielsweise die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt bei über 50 Prozent, bei Drillingen bei nahezu 100 Prozent. Für die Mütter gibt es ein erhöhtes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen wegen eines häufig erhöhten Blutdrucks oder Mineralmangels (D.I.R. 2021, 11).


Mythos: „Trotzdem: Ich bin eine total fitte Frau, und 40 ist doch jetzt das neue 30!“

 

Erklärung: Schön, dass wissen Ihre Eizellen aber nicht: Diese sind sogar schon etwas älter als 40 Jahre.

Und die Fruchtbarkeit der Frau nimmt bereits ab 25 Jahren ab, nicht erst ab 35.

 

Nice-to-know: Die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden ist stark abhängig vom Alter. Bei Frauen nimmt die natürliche Fruchtbarkeit ab dem 25. Lebensjahr ab. Zum Vergleich: Bei 25-Jährigen liegt die Chance schwanger zu werden bei 25 % pro Zyklus, bei 35-Jährigen bei rund 16 %. Bei 40-Jährigen sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft dann auf 8 % pro Zyklus. Die Wahrscheinlichkeit sinkt zudem weiter ab, je mehr Zyklen ohne Eintritt einer Schwangerschaft vorhanden sind. Aber nicht nur die Fruchtbarkeit der Frau nimmt im Alter ab, auch die es Mannes. Je älter der Mann, desto schlechter wird die Spermienqualität (Gnoth 2020; Wölfler 2021).


Mythos: „Dann lasse ich die Eizellen halt einfrieren und schlage damit dem Altern ein Schnippchen!“

 

Erklärung: Damit kann die biologische Uhr bei der Frau nur verlangsamt werden, nicht angehalten. „Social egg freezing“ macht außerdem nur wirklich Sinn, wenn die Eizellen im Alter von 25 entnommen werden, nicht aber im Alter von 40 Jahren.

 

Nice-to-know: Unter „Social egg freezing“ versteht man das Einfrieren von Eizellen aus nichtmedizinischen Gründen, um den Kinderwunsch auch noch in einem höheren Alter erfüllen zu können (Wischmann 2012, 213). Die Kosten werden nicht von der Krankenkasse bezahlt. Pro Behandlungszyklus liegen die Kosten für Frauen bei ca. 3.000 €. Im Schnitt braucht es 2-3 Behandlungszyklen für eine ausreichende Anzahl an Eizellen. Neben den Behandlungskosten kommen jährlich ca. 300 € Lagerungskosten hinzu. Zum Vergleich: Bei Männern kostet das Einfrieren von Sperma ca. 500-800 € plus die jährlichen Kosten für die Lagerung (Imthurn; Schiessl 2019).

 

Neben dem „Social freezing“ gibt es auch das „Medical egg freezing“. Dieser Begriff beschreicht das Kryokonservieren von Eizellen vor einem medizinischen Eingriff, der potentiell zur Unfruchtbarkeit führt, z. B. eine Krebstherapie (Wischmann 2012, 213). In diesem Fall werden die jährlichen Kosten für die Kryokonservierung von der Krankenkasse getragen.


Mythos: „Na gut, wenn es denn schon nicht mit dem „Loslassen“ oder einer Adoption klappt, dann halt mit einer Samenspende, einer Embryospende oder einer Eizellspende!“

 

Erklärung: So nicht ganz einfach: Nicht jedes dieser Verfahren ist in Deutschland legal, keines kann ein Kind garantieren und alle drei können erhebliche Risiken für das Kindeswohl und für die Familienbildung mit sich bringen, die unbedingt vorher in einer psychosozialen Beratung abgeklärt werden sollten.

 

Nice-to-know: Die Eizellspende ist in Deutschland aktuell nicht erlaubt. Bei der Inanspruchnahme einer Samen- oder Embryonenspende sollten sowohl rechtliche Aspekte geklärt werden als auch die Frage, wie generell damit umgegangen werden soll, dass das Kind nicht die gleiche genetische Abstammung hat wie ein oder beide Elternteile. Schon vor der Inanspruchnahme einer Samenspende müssen Überlegungen getroffen werden, die sowohl das Kindeswohl als auch die Familienbildung beeinflussen können.

 

Eine wichtige Entscheidung ist beispielsweise, ob der Samen über eine Samenbank oder eine private Spende bezogen werden soll. Eine Samenbank entbindet den Spender rechtsgültig von jedem Rechtsanspruch und ermöglicht es den Kindern ab dem 18. Lebensjahr, ihren genetischen Vater und potentielle Halbgeschwister ausfindig zu machen. Zudem ist die Qualität des Spermas gesichert. Die private Spende ist ggf. anonym (je nach Vorgehen) und wird nicht in dem Register erfasst, was es den Kindern kaum möglich macht, Kontakt zum genetischen Vater oder Halbgeschwistern aufzunehmen. Auch der Rechtsanspruch muss eigenständig geregelt werden (Rupp; Bergold 2011).

 

In einer Studie von Birgit Mayer-Lewis von 2019 zeigte sich, dass der Weg der privaten Samenspende zum einen aus Kostengründen gewählt wird, zum anderen wegen des bewussten Wunsches, dass der Kontakt nicht erwünscht sei z.B. wegen der Angst, dass sich der genetische Vater in die Familie hineindränge (Mayer-Lewis 2019, 49-50).

 

Bei der Embryonenspende bestehen diese Entscheidungen nicht, da sowohl die Eizelle als auch das Spermium von Spender*innen stammen. Bei beiden Formen der Spende sollte jedoch geklärt werden, ob und wie das Kind aufgeklärt werden soll, um schon im Vorhinein Unsicherheiten und Herausforderungen bei der Familienbildung vorzubeugen.


Mythos: „Aber die Gene sind doch so wichtig für eine gute Eltern-Kind-Beziehung, sagt man!“

 

Erklärung: Jetzt mal ehrlich: Haben Sie von Ihren Eltern ausschließlich nur die allerbesten Eigenschaften vererbt bekommen? Außerdem unterstellen Sie damit, dass Pflege- und Adoptivfamilien keine „richtigen“ Familien sind.

 

Nice-to-know: Studien belegen, dass die soziale Elternschaft, also die alltägliche Fürsorge, gemeinsame Zeit und ein liebevoller Umgang wichtiger sind, als die genetische Abstammung (Herek in Rupp 2011, 18; Mayer-Lewis 2019, 44-48; Ochs und Orban 2008, 1). Verschiedene Studien zeigen, dass es unabhängig von der Familienform verschiedenste Herausforderungen im Familienleben gibt, z.B. Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kinderbetreuung, Veränderung der Partnerschaft und der eigenen Rolle etc. (Neumann; Smolka 2016; Brähler; Unger 2001). Im speziellen Fall ist aber zu klären, wir damit umgegangen wird, dass dsa Kind genetisch nicht das eigene ist. Hat man das nicht akzeptiert, kann es zu unterschwelligen Konflikten kommen (BKID 2021).

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Quellen:

 

BKID (Beratungsnetzwerk Kinderwunsch Deutschland) (2021). Leitlinien für die psychosoziale Beratung im Rahmen der Gametenspende. Heidelberg. Online verfügbar unter https://www.bkid.de/wp-content/uploads/2021/06/Leitlinien-Gametenspende-2021.pdf.

 

Brähler, Elmar (Hg.) (2001). Schwangerschaft, Geburt und der Übergang zur Elternschaft. Empirische Studien. 1996. 3. Auflage. Gießen. Psychosozial-Verlag.

 

D.I.R. (Deutsches IVF-Register e.V.) (2021). Jahrbuch 2020. Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie - Journal of Reproductive Medicine and Endocrinology 18 (10). Düsseldorf. Online verfügbar unter https://www.deutsches-ivf-register.de/perch/resources/dir-jahrbuch-2021-deutsch-1.pdf.


Gnoth, Christian (2020). Natürliche Fertilität und Alter. Gynäkologische Endokrinologie 18 (2), 81–87. SpringerLink. Online verfügbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s10304-020-00311-4.

 

Imthurn, Bruno / Schiessl, Katharina (2019). Social Egg Freezing. Swiss Medical Forum ‒ Schweizerisches Medizin-Forum. Zürich. Online verfügbar unter https://medicalforum.ch/de/detail/doi/smf.2019.08391

 

Mayer-Lewis, Birgit (2019). Familie nach reproduktionsmedizinischer Assistenz - Was sagen die Eltern. Ergebnisbericht zur Studie "Bedarfe von Familien nach Familiengründung mit reproduktionsmedizinischer Assistenz". ifb-Materialien 2/2019. Bamberg. Online verfügbar unter https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/66944.

 

Neumann, Regina (2016). Familienbildung aus Sicht bayerischer Mütter und Väter. Ergebnisse der dritten ifb-Elternbefragung zur Familienbildung. Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg. ifb-Materialien 3-2016 3. Bamberg. Online verfügbar unter https://www.ifb.bayern.de/imperia/md/content/stmas/ifb/materialien/mat_2016_3.pdf.

 

Ochs, Matthias/Orban, Rainer (2010). Familie und Beruf. Work-Life-Balance für Väter. Weinheim. Beltz-Verlag.

 

Rupp, Marina (Hg.) (2011). Partnerschaft und Elternschaft bei gleichgeschlechtlichen Paaren. Verbreitung, Institutionalisierung und Alltagsgestaltung. Opladen. Verlag Barbara Budrich.

 

Schweizer-Arau, Annemarie (2015). Der sanfte Weg zum Wunschkind. IVF (fast) ohne Hormone. München. Kösel-Verlag.

 

Wischmann, Tewes (2012). Einführung Reproduktionsmedizin. Medizinische Grundlagen, Psychosomatik, psychosoziale Aspekte. München. Reinhardt-Verlag.

 

Wischmann, Tewes (2016). Die ultimative Kinderwunsch-Checkliste. Die Top 30-Vorurteile in leicht verständlicher Sprache aufgeklärt. Heidelberg. Online verfügbar unter http://www.dr-wischmann.de/KiWuCheckliste.pdf.

 

Wölfler, Monika Martina (2021). Fertilität – Mythos und Realität. Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel 14 (1), 11–19. SpringerLink. Online verfügbar unter https://link.springer.com/article/10.1007/s41969-021-00127-y